„Was ist Ihr Thema?“, das fragt man in Aachen die Bürgerinnen und Bürger und möchte mit einem Bürgerrat das ausleuchten, was den Menschen jenseits der Ratspolitik auch sonst noch auf den Nägeln brennt. Jetzt entschied man sich für ein Thema, das sowieso in Aachen schon von morgens bis abends diskutiert wird: die Mobilität.
Genauer: „Ausgewogene Mobilität in Aachen: Wie gelingt es, bei verkehrspolitischen Entscheidungen alle Bedarfe der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer*innen zu betrachten? Welche konkreten Maßnahmen sind zielführend, um ein ausgewogenes Miteinander herzustellen?“
Ein Dauerthema in Aachen, zu dem, so könnte man meinen, bereits restlos alles gesagt ist, und zwar von jedem.

Hans Falk ist Mitglied vom Aachener Baumschutzbund und hat als Zuschauer an der Sitzung des Bürgerforums teilgenommen. Er schickte folgenden, sehr umfangreichen Bericht, der hier leicht gekürzt wiedergegeben wird:
Vor dem 17-köpfigen Gremium des Bürgerforums waren am 25. März 2025 zahlreiche Bürgerinnen und Bürger erschienen.
Von einem Gremium des Bürgerrats waren aus 28 Vorschlägen 5 ausgewählt worden. Von den 5 sollte nun ein Thema ausgewählt werden, womit sich intensiv befasst werden sollte. Die Themen lauteten:
1) Mehr Bürgerpartizipation in Bezirken und Quartieren (Pos 28) mit 243 Stimmen
2) Ausgewogene Mobilität aller Verkehrsteilnehmer (Pos 6) als Verwaltungsvorschlag
3) Klimaneutrales Aachen 2030. Wie kann die Bürgerschaft mit einbezogen werden? (Pos 15) mit 287 Stimmen
4) Mehr Sauberkeit und Aufenthaltsqualität (Pos 23) mit 402 Stimmen
5) Wie kann Aachen umweltfreundlicher werden (Pos 17) mit 150 Stimmen
Zum Thema 1) sprach sich ein junger Mann mit der Begründung aus, das Stadtgebiet sei sehr heterogen mit Außen- und Innenbezirken und entsprechend unterschiedlichen Bedürfnissen, weshalb Bürgerbeteiligungen eher ortsbezogen sein sollten.
Zu 2) gab es keine nähere Begründung, da der Vorschlag von der Verwaltung und nicht aus der Bürgerschaft direkt kam.
Zu 3) referierte Gangolf Ehlen von der Initiative Klimaentscheid und verwies auf die beschlossenen Vorgaben „Aachen klimaneutral 2030“, IKSK 2.0, Klimastadtvertrag. Dabei wurde in die Runde gefragt, wer das Vorhaben „Aachen klimaneutral 2030“ kenne, wobei sich mehr Zuschauer, aber relativ wenige Politiker meldeten!
Zu 4) sprach sich eine Dame zur Müllproblematik, Sauberkeit und mehr Aufenthaltsqualität aus, was um die Graffiti-Problematik erweitert werden sollte.
Zu 5) bezog sich Frau Flachskampf auf die Club-of-Rome-Prognosen, um ein weites Feld an Umweltthemen aufzuspannen, die für sich genommen schon Einzelthemen hätten sein können wie Schulhof-, Dach- und Fassadenbegrünungen, Entsiegelungen, Blühwiesen, Stopp von Lichtverschmutzung und darunter auch konkret die Forderung einer positiven Baumbilanz.
Zu jeder dieser Ausführung gab es Wortbeiträge aus dem Publikum. Das Ganze zog sich also schon wie vermutet in die Länge, wobei Mathias Dopatka (SPD) als Vorsitzender des Bürgerforums alles sehr locker und lebendig zu moderieren suchte.
Die allgemeine Irritation bezüglich Thema 2) und der unterschiedlichen Positionierungen unabhängig von der Stimmenzahl wurde von der verwaltungsseitigen Begleitung des Bürgerrates mit der Auswahl der Jury des Bürgerrates begründet. Diese Jury setze sich wirklich nur aus Bürgerinnen und Bürgern, nämlich aus einigen des vorangegangen Bürgerrates neben Neugewählten zusammen.
Zudem würde nach 3 Runden eine Evaluation stattfinden, um beim „Wie weiter?“ Verbesserungen vorzunehmen.
Anschließend bewerteten die politischen Vertreterinnen und Vertreter die Vorschläge lobend als wichtige Beiträge, dankten allen Repräsentierenden und votierten für ihren Favoriten, wobei sich nebenbei offenbarte, dass deren Entscheidungen bereits fraktionsintern vorher gefallen waren.
Außer Die Zukunft und Die Linke mit 2 Stimmen für Thema 1), die FDP mit 1 Stimme für Thema 4), gab es von CDU, SPD, Die Grüne und AfD 14 Stimmen für Thema 2), das damit als klarer Sieger (wie zu erwarten) hervorgegangen war.
Während das Publikum etwas ratlos dasaß, insistierte Christa Kerinnis (Seniorenrat) als Mitglied des Bürgerforums mehrfach auf eine detailliertere Antwort, warum eine Verwaltungsvorlage ohne Bürgervotum durchgedrungen sei. Das fragte dann auch Leo Deumens von Die Linke.
Mathias Dopatka versuchte plausibel zu machen, dass die Jury des Bürgerrats das zugelassen hätte. Denn die Verwaltung wollte das seinerzeit nur zweitfavorisierte Thema vom vorherigen Bürgerrat nochmal aufgreifen. Das sei doch auch ein von der Bürgerschaft gewähltes, eben nur zusammengefasstes Thema.
Auch Gereon Hermens, einer der Mitbegründer des Bürgerrates, merkte leise Kritik an dem Prozess an und sah Verbesserungsbedarf, damit, wie von der Politik behauptet, mit dem Bürgerrat ein Brückenbau geschaffen werde.
Mathias Dopatka relativiert die Kritiken damit, dass die Politik unabhängig sei und auch schon mal zu anderer Meinung kommen könne.
Mein Fazit:
Die Angelegenheit hatte mal wieder (wie ich schon ahnte) ein „Geschmäckle“.
Vier Vortragende hatten sich gut vorbereitet und ihre Themen also ins Leere präsentiert. Gewählt wurde das Thema, das von niemandem aus der Bürgerschaft vertreten wurde. Mühe und Aufwand waren dabei sowieso vergebens, weil die Entscheidungen schon vor dem Bürgerforum gefallen waren.
So war auch die gesamte Zuhörerschaft mit ihren Diskussionsbeiträgen und Kommentaren eigentlich überflüssig. Man hat einen Hinterzimmerbeschluss quasi nur als öffentlichen Live-Auftritt inszeniert. Das kann nur frustrierend sein für alle Teilnehmenden, die das Spiel durchschauten.
Wie Hohn scheint es da, wenn Bürgerengagement – gerne hochgelobt – als willkommene und mutmachende Bereicherung geheißen wird. Statt zuckersüßer Rhetorik bleibt da eher ein bitterer Geschmack zurück.
Inhaltlich ist nichts gegen Thema 2) einzuwenden, im Gegenteil, ist es aktuell angesichts des polarisierenden Streits durchaus notwendig. Allein der Prozess des Zustandekommens zieht alles herunter.
(. . . )
Das aktuell vorgebrachte Argument, man wollte das zweitplatzierte Bürgerwunschthema extra für den Bürger nochmal aufgreifen, sieht nur vordergründig bürgernah aus.
Statt Bürgernähe und Mitbestimmung, wie plakativ vorgehalten, erscheint das ganze Verfahren sehr willkürlich, weniger von Bürgerinnen und Bürgern als mehr von der Politik bestimmt. Abgesehen davon, dass Bürgerratsvorschläge nur Empfehlungen sind und die Politik sowieso am Ende entscheidet.
Trotzdem macht der Bürgerrat einstweilen weiter, vermutlich zähneknirschend und es bleibt zu wünschen, dass die Initiatoren und Engagierten dafür weiterhin Kraft und die nötige Ausdauer aufbringen.
s. dazu auch: Themenfindung mit Geschmäcke? der örtlichen Tageszeitung
und: ein Booster für die Demokratie
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