Wem gehört die Software, die die Stadt Aachen sich bestellt und bezahlt hat?

Die Fraktion „DIE Zukunft“ hat einen Antrag formuliert und ihn der Oberbürgermeisterin zugeschickt. Sie wird ihn dem Rat zur Diskussion und Abstimmung vorlegen. Die Fraktion formulierte und begründet wie folgt:

Die Stadt Aachen strebt das Ideal an, „dass mit öffentlichen Geldern für öffentliche Verwaltungen entwickelte Software unter einer Freie-Software- und Open-Source Lizenz veröffentlicht wird“. (Wem das nichts sagt, der kann gern einmal hier nachlesen. Auch hier wird erklärt, worum es in dem Antrag geht.)

Die Fraktion „DIE Zukunft“ möchte, dass die Verwaltung in einem ersten Schritt durch Beschluss des Rates beauftragt wird, die Vergaberichtlinien so anzupassen, dass Software, die eigens für die Stadt Aachen entwickelt wird, unter einer GPL-kompatiblen Lizenz quelloffen zu liefern ist. Ausnahmen von dieser Regel müssen begründet werden und sind nur zulässig, falls die Veröffentlichung des Quelltextes nicht im öffentlichen Interesse wäre.

Das unten stehende Bild soll den Text auflockern. Es zeigt Wohnungsbau am Eisenbahnweg. Allerdings beachte man die Analogie: Wenn man keine Software hat, die unter Open-Source Lizenz steht, dann ist das so, wie wenn man sich ein Haus baut und auch bezahlt hat und trotzdem Miete zahlen muss und dabei das Haus niemals in deinen Besitz übergeht. Tja, denk mal drüber nach.

Die Antrag wird begründet:

Die Stadt Aachen beschafft regelmäßig Software, die eigens entwickelt werden muss und mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Diese Software wird meist unter einer proprietären Lizenz entwickelt. Das heißt, dass der Quelltext, also der Teil aus dem die eigentliche Software generiert wird, im Besitz der entwickelnden Firma verbleibt und nicht veröffentlicht werden muss. Einen Gegenentwurf dazu bieten freie Software Lizenzen, oft synonym Open-Source Lizenzen genannt.

Aus der Finanzierung freier Software ergeben sich damit folgende positive Effekte für Aachen: 

Freie Software ist Allgemeingut. Die von der Stadt Aachen angebotenen und in Auftrag gegebenen digitalen Dienste gehören zur kritischen Infrastruktur unserer Region. Es muss sichergestellt sein, dass die Kontrolle dieser in öffentlicher Hand bleibt und die Stadt Aachen sich nicht ohne Not von wenigen Unternehmen abhängig macht. Der Quelltext freier Software ist grundsätzlich öffentlich zugänglich.

Freie Software gewährleistet damit, dass die Stadt nicht in Systemumgebungen eines Anbieters eingesperrt wird, da auch andere Anbieter auf dem vorhandenen Quelltext aufbauen können. Im Gegensatz dazu entstehen durch Lock-in-Effekte bei proprietärer Software oft hohe Wechselkosten, sollte man sich nach Ablauf der Lizenzverträge für einen anderen Anbieter entscheiden [4, S.15].

Freie Software ist allgegenwärtig. Eines der bekanntesten Projekte ist das freie Linux-basierte Betriebssystem Android [5] für Smartphones. Unternehmen aller Größen – von Mittelständlern bis hin zu globalen Konzernen – investieren erhebliche Summen in die Entwicklung und Sicherheit freier Software. So unterstützen circa 1000 Firmen die Linux Foundation finanziell und personell: Die Firmen Facebook, Fujitsu, Microsoft und Samsung tragen jährlich 500.000 USD bei [6]. Die Stadt Aachen nutzt für ihre Homepage und das Serviceportal unter anderem die freien Software-Pakete jQuery, Liferay und nginx [7, 8].

Freie Software fördert Innovation. Der Einsatz freier Software hat in verschiedenen öffentlichen Verwaltungen bereits zu großen Erfolgen geführt. Das beste Beispiel hierfür ist der mit dem Ziel der Kosteneffizienz eingeführte Runderlass 5608/SG [9] des französischen Premierministers vom 19. 09. 2012.

Laut eines wissenschaftlichen Artikels der Harvard Business School führte dieser innerhalb Frankreichs zu einer höheren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, nämlich zu einer jährlichen Steigerung der IT-Startups um 9% – 18%, und einer jährlichen Steigerung der Angestellten in IT-Berufen um 6,6% – 14% [10, S.1].

Ein weiteres Beispiel: Die Stadt Barcelona hat sich dazu verpflichtet 70% ihres IT-Jahresbudgets für Neuentwicklungen in freie Software zu investieren [11, S. 7]. Heute gibt es mehr als 3000 Unternehmen, die mit der Stadt Barcelona über öffentliche Aufträge zusammenarbeiten. Mehr als 60% davon sind kleine und mittelständische Unternehmen.

Freie Software ist sicher. Die gängigsten IT-Sicherheitsstandards sind eng an die Prinzipien freier Software geknüpft [11, S. 23]. Freie Software erlaubt es staatlichen Stellen selbständig  Sicherheitsprüfungen in Auftrag zu geben und gefundene Sicherheitslücken schließen zu lassen. Andererseits können Firmen Prüfungen zu Sicherheit und Datenschutz vornehmen, ohne dazu einen Auftrag zu benötigen.

So wurden z.B. viele Probleme der Luca-App erst nach Offenlegung des Quelltextes erkannt [12, 13]. Ist im Gegensatz dazu Software im alleinigen Besitz einer Firma, liegt die endgültige Entscheidung Sicherheitslücken finden und schließen zu lassen bei ihr. Bei mangelndem wirtschaftlichen Interesse kann dies gänzlich ausbleiben. Ist der Quelltext einer Software nicht öffentlich besteht außerdem die Gefahr, dass Sicherheitslücken nach der externen Überprüfung eingebaut werden [11, S. 22]. Dies passiert beispielsweise im Rahmen von Abhörmaßnahmen durch Geheimdienste. 

Der Ver­trags­schluss mit Anbietern freier Software ist mit geringem Zusatzaufwand möglich, unter Verwendung angepasster EVB-IT Verträge. Hierzu hat die Open Source Business Alliance eine Handreichung zu EVB-IT Erstellungsvertrag [14] veröffentlicht. Somit können die angepassten Vergabeprozesse zeitnah umgesetzt werden.

***


[4] Mackintosh S., 2018. An Open Digital Approach for the NHShttps://opusvl.com/nhs/white-papers
[5] https://source.android.com/setup/start/licenses
[6] https://www.linuxfoundation.org/en/join/members/
[7] https://www.aachen.de
[8] https://serviceportal.aachen.de
[9] https://www.legifrance.gouv.fr/download/pdf/circ?id=35837
[10] Nagle F., 2020. Government Technology Policy, Social Value, and National Competitiveness https://extranet.sioe.org/uploads/sioe2020/nagle.pdf
[11] Free Software Foundation Europe, 2020. Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur mit Freier Software https://download.fsfe.org/campaigns/pmpc/PMPC-Modernising-with-Free-Software.de.pdf
[12] https://arxiv.org/abs/2103.11958
[13] https://digikoletter.github.io/
[14] https://osb-alliance.de/wp-content/uploads/2018/10/201805_OSBA_Handreichung_EVB-IT.pdf

Für den Antrag zeichnet ganz wesentlich Matthias Achilles (Piratenpartei), Mitglied des Rates der Stadt Aachen, verantwortlich. Ihr könnt ihn auf Twitter unter @MadGnomeAC erreichen.

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