Offenlage: Es wird empfohlen, Folge 56 des Podcasts Sicherheitshalber zu hören, wo Thomas Wiegold, Ulrike Franke, Frank Sauer und Carlo Masala mit Rüdiger Bachmann sprechen. Bachmann ist Ökonom und sagt, ein sofortiger Importstopp für russische Energie sei für die deutsche Volkswirtschaft verkraftbar. Hier zuhören oder weiter lesen.
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Das ist jetzt die dritte Krise, die uns in Angst und Schecken versetzt. Es gab
1. in 2008 die Eurokrise mitsamt Wirtschaftskrise unf Bankenrettung, dann
2. in 2020 die Corona-Krise und jetzt
3. in 2022 die Ukraine-Krise.
Die – aus wirtschaftspolitischer Sicht betrachtet – schlimmste Krise war die erste Krise, als man zeitweise dachte, der Euro verliert seinen Wert, er zerbröselt uns zwischen den Fingern, unser Geld ist bald nichts mehr wert. Diese Krise dauerte acht Jahre.
Nicht ganz so schlimm, rein wirtschaftlich gesehen, war die Corona-Krise (dauert noch an), wo man anfangs nicht wusste ob und wann es eventuell mal einen Impfstoff geben würde??? Tote landeten in Massengräbern, sage und schreibe 1,9 Millionen Menschen mussten in Deutschland alimentiert werden, weil sie nichts mehr zu arbeiten hatten. 400 Milliarden an Schulden wurden von der Bundesregierung aufgenommen, aber es gab keine Wirtschaftskrise. (Was z. B. bildungspolitisch alles falsch gemacht wurde, davon ist hier nicht die Rede.)
Mit der Ukraine-Krise haben wir es – bei Lichte besehen und rein wirtschaftlich – nicht so schwer. Wir wissen was kommt: Entweder wir kaufen ab sofort den Russen ihr Gas nicht mehr ab. #EmbargoJetzt Oder im Herbst wird Putin die Gaslieferung nach Deutschland von sich aus einstellen und denken, er würde damit die deutsche Wirtschaft pulverisieren.
Das wird er allerdings keinesfalls, wenn wir jetzt sofort anfangen, uns darauf vorzubereiten. Dann müssen wir ein Gasembargo nicht fürchten. Wir wollen ja sowieso wegkommen von fossilen Brennstoffen.
Wenn wir jetzt sofort kein Gas mehr von Putin kaufen, passiert erst mal gar nichts.
Der Sommer kommt, es wird warm, es wird zum Heizen kaum Gas gebraucht. Dabei: Es gibt noch etwas Gas auf Vorrat (allerdings wenig), und wir bekommen weiter Gas aus Norwegen, gar nicht mal wenig. Außerdem haben wir die Braunkohle (ja, sorry, es ist Krieg). Auf deutsche Atomkraftwerke können wir nicht zurückgreifen, die haben sich längst auf das Stilllegen umgestellt und können nicht umschwenken, wie glaubhaft versichert wurde.
Wie man schon hörte, werden vier schwimmenden LNG-Terminals gekauft, wovon allein schon drei die Hälfte von dem Gas ersetzen können, was wir im Winter normalerweise aus Russland beziehen. (Die LNG-Terminals sind sozusagen das, was der Impfstoff in der Corona-Krise war.)
Aber das ist noch nicht alles. Im Falle eines Energiemangels können wird auch Ware, die nicht mehr produziert werden kann, im Ausland kaufen, zum Beispiel Dünger. Außerdem: Die meisten Fachkräfte, die in der chemischen Industrie frei würden, wären – bei dem derzeitigen Fachkräftemangel – bestimmt nicht lange arbeitslos.
Zu einer „Kernschmelze der deutschen Industrie“ würde es sicher nicht kommen. Denn so ganz ohne Gas wären wir 1. nicht, es gibt kein Embargo gegen Norwegen/Dänemark/Niederlande. Und 2. leben wir in 2022 in einer Dienstleistungsökonomie. Die produzierende Industrie das sind nur 20 bis 25 Prozent unserer Wirtschaftsleistung. Der industrielle Kern ist nicht so groß wie manche denken. 350.000 Menschen arbeiten im gasintensiven Sektor (Chemieindustrie) aber: 1, 9 Millionen arbeiten im Gaststättengewerbe (war bei Corona-Krise wichtig) 3. könnten wir Teile, die in Deutschland nicht mehr produziert werden, auf dem Weltmarkt kaufen. Klar: nicht alle, aber die meisten.
Erhebt sich die Frage, ob das Gasembargo überhaupt Einfluss hat auf Putins Kriegslust. Ja, vielleicht nicht sofort und auf einen Schlag. Aber schon bald wird er nicht mehr in der Lage sein, so großartig Krieg zu führen. Und sowieso nicht noch zusätzlich gegen Moldau oder Finnland oder die baltischen Staaten oder sogar Polen. Einen Regimewechsel erreicht man mit einem Embargo nicht, wohl aber eine starke Schwächung der russischen Wirtschaft.
Bleibt die Frage, was passiert, wenn durch das Embargo die Russen so sehr destabilisiert werden, dass es dort zu Bürgerkriegs-ähnlichen Zuständen kommt? (Eigentlich brauchten wir ja mit Blick auf China ein Bündnis mit einem starken Russland. Aber diese Träume sind nun dahin.) Und was ein komplettes Chaos in einem Russland mit nuklearem Potential bedeutet, das müssen wir dann eben sehen, wenn es soweit ist.
Wir haben es jetzt mit einer Operation am offenen Herzen zu tun und dürfen nicht zögern. Wenn wir Putin nicht die Ukraine vor die Füsse werfen wollen, dann müssen wir handeln. Stellt euch vor, ein Mann kommt in euer Haus, zerstört die Einrichtung, ermordet den Sohn und vergewaltigt die Tochter. Da kann man nicht sagen: Jetzt soll erst mal überlegt und verhandelt werden, da muss sofort eingegriffen werden. Den Angegriffenen darf man eine Waffe nicht vorenthalten, sie müssen sich wehren können.
Wer keine Zeit hat, sollte sich wenigstens diesen Beitrag ansehen.
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https://www.zeit.de/politik/2022-04/joerg-lau-frank-walter-steinmeier-ukraine-politikpodcast