Wie groß der Mangel an Personal in den Aachener Kitas ist, das wurde den zuständigen Politiker*innen jetzt zu Beginn einer Sitzung vor Augen geführt. Es wurde lebensnah geschildert, welche Katastrophen Eltern und Kinder erleben, die immer wieder vor verschlossenen Kita-Türen stehen. Für Berufstätige ist es das Ende der Karriere bzw. Ende der Berufstätigkeit. Frauen hängen ihren Job an den Nagel, weil sie sich nicht darauf verlassen können, dass ihr Kind versorgt ist. Berufstätige Alleinerziehende verzweifeln.

Die Politik in Aachen musste handeln. Ein Arbeitskreis hat sich das – etwas hochtrabend – „Aachener Modell“ genannte Projekt ausgedacht. Das sieht so aus: Pädagogisch ungelerntes Personal soll eingestellt werden. Eine Frisörin, eine Verkäuferin, jemand dem sein Bürojob nicht mehr gefällt und viele andere sollen eingestellt werden. Die Ungelernten werden eine Woche lang angelernt und sollen dann im laufenden Betrieb von der jeweiligen Erzieherin in den Kitas Zug und Zug erklärt bekommen, wie mit Kindern umzugehen ist.
Das muss von der Landesregierung genehmigt werden. Falls dieses „Modell“ aber nicht genehmigt wird, könnte man es trotzdem realisieren. So groß ist die Not, dass sogar das überlegt wurde! In Aachen ein einmaliger Vorgang, wo man eigentlich immer nur das tut, was ausdrücklich erlaubt ist.
Im eiskalten Ersatz-Tagungsraum und ohne Mikro war allen Anwesenden (Verwaltung, Politik, Träger-Vertreter, Gewerkschaft, Elternvertreter, andere Sachverständige) klar: Alles ist besser als nichts zu tun. Die Lage ist dramatisch. Eltern und Erzieherinnen beschweren sich seit Monaten – nichts ändert sich.
Bedenken wurden angesprochen, auf die die Vorsitzende Hilde Scheidt (Grüne) leicht angepisst (warum eigentlich?) reagierte:
1. Es ist immer viel Arbeit, Praktikanten oder Helfer zur Anleitung aufzunehmen. Wenn man gerade viel zu tun hat, dann sagt man doch: Nein, für einen Praktikanten habe ich jetzt gerade nicht die Zeit. So wurde die Befürchtung geäußert, dass die Erzieherinnen durch das pädagogisch ungelernte Personal noch mehr belastet werden als sie es sowieso schon sind. Dass man also das Gegenteil von dem erreichen könnte, was man eigentlich will.
2. Das Modell wurde „Notfallplan“ genannt. Aber: Nichts besteht so lange wie ein Provisorium. Man muss darauf achten, dass das Model eine befristete Sache ist und nicht dauerhaft existiert. Manch einer befürchtet, dass wir in 5 Jahren immer noch viel pädagogisch ungelerntes Personal in den Kitas haben.
3. Zur Fachlichkeit. In den Kitas soll die Arbeit zwischen Erzieherinnen und ungelernten Personal quasi aufgeteilt werden. Die Ungelernten sind für Arbeiten wie ankleiden, händewaschen, beim Essen helfen usw. zuständig und die Erzieherinnen schauen dann Bilderbücher mit den Kleinen und machen Bildung. Diese Trennung ist in der Realität schwer möglich. In den Kitas ist alles Bildung. Kinder lernen, wenn Essen verteilt wird, sie lernen, wie ein Reißverschluss funktioniert, wie man sie für draußen ankleidet usw. Alles ist lernen und sollte von qualifiziertem Personal „unterrichtet“ werden.
Denn: „Was pädagogische Fachkräfte können, können nur pädagogische Fachkräfte.“ (ver.di)
4. Es gibt weitere Unklarheiten, z. B. was die Bezahlung der Ungelernten betrifft und warum die Tagesmütter bzw. Kindertagespflegepersonen nicht einbezogen wurden bei der Suche nach Lösungen für das Personaldefizit. Besonders was diese letztgenannte Personengruppe betrifft, die mit viel Erfahrung in der Betreuung von Kleinkindern aufwarten kann, wurde eine wichtige Ressource ungenutzt gelassen.
Das Aachener Modell wurde einstimmig beschlossen, nachdem der Vertreter der CDU betont hatte, dass alle „Bauchmerzen“, die man bei dem Beschluss hat, unbedingt geäußert werden müssen, damit das Projekt ein Erfolg wird.
Jetzt wird versucht, die Erlaubnis von der Landesregierung zu bekommen.
Offenlage: Ich bin selbst für die Fraktion Die Zukunft sachkundige Bürgerin in dem Gremium, um das es hier geht.
s. dazu auch den Bericht auf der Online-Seite der örtlichen Tageszeitung.
Eine qualifizierte pädagogische Ausbildung ist essentiell. In der frühkindlichen Bildung werden die Weichen für das ganze Leben gestellt. Es ist unverantwortlich, unqualifiziertes Personal für die Betreuung und Beaufsichtigung einzusetzen. Im Kindesalter ist alles Bildung. Da kann man nicht zwischen Essen, Anziehen, Bewegen oder Malen unterscheiden. Erzieher*innen müssen Entwicklungsprozesse des Kindes verstehen, deuten und darauf angemessen, fachlich und professionell reagieren können. Das Modell ist Sparen am falschen Ende, zu kurz gedacht, ohne Weitsicht, ohne Sinn und Verstand. Als würde man fehlende Steine in einem bröckeligen Mauerwerk mit weichem Schaumstoff ausbessern. Es sollte an oberster Priorität stehen, Kinder-und Jugendhilfeeinrichtungen mit allen Mitteln zu unterstützen und für qualifiziertes Personal zu sorgen, damit die zukünftige Gesellschaft lebens- und handlungsfähig bleibt.
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Auch ich sehe hier die Gefahr in der Verstetigung des Unprofessionellen. Kinder lernen in jeder Situation, sollten also immer von für die Betreuung ausgebildeten Fachkräften betreut werden. Es ist ein Jammer, dass offenbar immer noch der Irrglaube besteht, mit Kindern könnte jeder umgehen, egal wie.
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